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Wet and foggy

Ich sitze auf einer Bank im Yogoshiyama Onsen und spüre, wie mir der Schweiß von der Stirn tropft. Der komplette Bereich ist eingehüllt in feinem Dampf. Während ich umherblicke, sehe ich viele verschiedene nackte Frauenkörper und denke mir, dass das Schönheitsbild der japanischen Frau im Westen offensichtlich nicht dem Standard entspricht. Dicke Frauen, Frauen mit Röllchen, schlanke und sehr dünne Frauen, kleine und große Brüste, schöne runde Hintern und plattgesessene Pobacken. Nur eines haben sie fast alle gemeinsam: Das fehlende Bewusstsein für die Schönheit des eigenen nackten Körpers.


Oft komme ich nicht umhin, mir vorzustellen, wie einige von diesen jungen sowie älteren Damen wohl in ihrem Sexleben agieren. Kinder gibt es viele, aber sexuell zufrieden aussehende Frauen kaum. Im Gespräch mit einem sehr offenen, japanischen Freund von mir wurde mir bewusst, dass die japanische Sexualität oft schon von Kleinauf im Keim erstickt wird. Sexualität ist hier ein Tabuthema und obwohl es jeder auslebt, gesprochen wird darüber wenn dann nur unter Männern - und auch nur wenn Alkohol fließt.


Ich spüre, wie Blicke auf mir ruhen, doch auch ich merke, dass ich hin und wieder zu lange in eine Richtung blicke. Dabei komme ich nicht umhin zu denken "Na siehst du, man spürt das, wenn man angestarrt wird. So fühle ich mich hier immer und überall". Jede erwachsene Frau weiß, man muss nicht lesbisch sein, um einen schönen Frauenkörper zu würdigen. Aber auch das wird hier nicht gemacht.


Ein Kind läuft grinsend an mir vorbei und ruft: "Eva-sensei!" Ich lächele und grüße ihre Mutter mit einem Nicken. Am nächsten Tag wird das Kind zu mir kommen und sagen: "Eva-sensei! Gestern haben wir uns im Bad getroffen!" und es wird das Normalste von der Welt sein.


Denn auch wenn Nacktheit und Sexualität so ein Tabuthema sind, so gehört das Ofuro (direkt übersetzt: Bad) zum Alltag dazu. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass die ganze Familie gemeinsam in den Yogoshiyama Onsen fährt. Man wäscht sich und schlüpft danach ganz selbstverständlich in den Schlafanzug. Auf einen Ausländer wirkt es komisch, dass hier Kinder sowie Jugendliche (und manchmal auch Erwachsene) in "der Öffentlichkeit" ihre Schlafkleidung anhaben, doch daran ist nichts unnormal; danach fährt man schließlich nachhause und schlüpft in den Futon oder ins Bett.

 

Der Unterschied zwischen einem Onsen und einem Sento ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, zumal viele Sentos sich offiziell als Onsen deklarieren. In Wahrheit ist ein Onsen jedoch eine heiße Quelle, die einem nahegelegenen Vulkan entspringt, während ein Sento maschinell temperiertes Wasser ist. In einen richtigen Onsen zu gehen ist eine durchaus andere Erfahrung als das ortseigene Sento. Ich liebe beides, denn beides hat seinen ganz eigenen Reiz.

 

Gemeinsam haben beide jedoch, dass man zunächst in einen beheizten Vorraum kommt, in dem man sich entkleidet. In der Regel gibt es Körbe, in denen man seine Sachen verstaut, bevor man sie in ein Regal stellt. Daraufhin geht man nackt direkt in den Raum, in dem sowohl geduscht als auch gebadet wird. Hier gibt es unterschiedliche Preisklassen - in den günstigeren Sentos ist man gezwungen, sein eigenes Duschzeug mitzubringen, während es in den aufsteigenden Preisklassen normalerweise Shampoo, Duschbad und auch Conditioner gibt. In sehr teuren Onsen findet man auch viele Pflegeprodukte, die man nach dem Bad nutzen kann, wie beispielsweise Gesichtsschaum oder Cremes. Yogoshiyama Onsen bietet Duschbad und Shampoo mit Conditioner an, aber je öfter ich dorthin gehe, desto mehr bestehe ich darauf, meine eigenen Produkte mitzubringen.


Für Onsenunerfahrene hier nun die Prozedur, die man durchlaufen muss, bevor man sich ins heiße Wasser stürzt: Zunächst setzt man sich an einen freien Platz. An jenem befindet sich ein Duschkopf, ein Spiegel, ein Höckerchen und eine schüsselähnliche Plastikwanne. Dort wird sich gründlich gewaschen - Haare sowie Körper. Ich habe viele Frauen dort eine lange Reinigungsprozedur vollziehen sehen. Gesichtsreinigung, gründliche Körperreinigung mithilfe von Duschhandtüchern oder anderen Hilfsmitteln, Rasur, ausführliche Haarkuren und auch Zähne putzen ist mit von der Partie. Die älteren Frauen schrubben sich oft gegenseitig den Rücken. Alles in allem ist es wirklich ein interessantes Fest für die Augen.


Nachdem man sich gewaschen hat, ist es Zeit, in die heiße Quelle einzutauchen und sich zu entspannen. Dabei ist es wichtig, dass man sich behutsam ins Wasser gleiten lässt. Vom Beckenrand springen gibt es hier wirklich nicht! Es ist ein Ort der Entspannung - nicht des aufregenden Wellenganges. Im Yogoshiyama Onsen (ich möchte diesen Ort wirklich gerne Sento nennen, aber er nennt sich selbst nun mal Onsen) gibt es auch eine kleine Sauna. Im Normalfall gehe ich erst für 15 Minuten saunieren, ruhe mich kurz aus und lasse mich dann ins heiße Wasser nieder. Saunen gehören aber nicht zur Grundausstattung.


Ein richtiger Onsen hat oftmals nur kleine Bäder, da es sehr viel aufwändiger ist, das natürliche Quellwasser in ein Becken abzufüllen. Dafür sind jene natürlich temperiert, während es im Sento oft mehrere Becken unterschiedlicher Temperatur gibt. Ich fühle mich im Yogoshiyama Onsen oft in eine Therme in Deutschland zurückversetzt, denn es gibt auch ein Becken mit sprudelndem Wasser, ein Kinderbecken und zwei verschiedene Becken zur Hautpflege. Im richtigen Onsen gibt es höchstens drei verschiedene Becken, im Regelfall jedoch nur zwei, ein heißes Innenbecken und ein Außenbecken.

 

Ich wohne in der Nähe von einem beliebten Onsen-Spa namens Asamushi-Onsen. Es gibt viele Touristen, die nur wegen der Fülle an Onsen dorthin reisen. Auch ich bin regelmäßig dorthin unterwegs gewesen und habe einige verschiedene Bäder besucht, um meinen Lieblingsonsen zu finden. Allerdings ist es für mich relativ schwer zu erreichen, da ich auf die Bahn angewiesen bin, die sehr unregelmäßig fährt. Es ist also unmöglich für mich, spontan zu entscheiden, dass ich gerne ein bisschen in heißem Wasser entspannen will. Zusätzlich sind die Öffnungszeiten für Gäste von außerhalb sehr eingeschränkt, weil es zu jedem Onsen auch ein Hotel (oder Ryokan) gibt. Dadurch ist es für mich einfach angenehmer geworden, spontan 15 Minuten mit dem Fahrrad zum Berg Yogoshiyama zu fahren und dort in der Zeit zwischen 9 Uhr morgens und 9 Uhr abends ein Bad zu nehmen.

 

 

 

 

 

Ganz zu Beginn meines Aufenthalts habe ich diese Bilder in einem Mini-Onsen geschossen, in den ich dank der Beziehungen meines Einsatzstellenleiters (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) kostenlos durfte. Auf dem unteren Bild sieht man ein sogenanntes Tamago-Onsen - eine heiße Quelle, in der man Eier für ein paar Stunden kochen lässt. Angeblich ein wahrer Gaumenschmaus, in dessen Genuss ich bisher noch nicht gekommen bin.

Auch in Akita, der Nachbarpräfektur, habe ich einen Onsen besucht. Wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob es sich dort nicht auch um ein Sento gehandelt hat, da es für sein Angebot relativ günstig war. Genüsslich habe ich jedoch im Außenbad gesessen und in den düsteren Abendhimmel geblickt. Was ich an diesem Onsen besonders mochte, war das Angebot an Shampoo und Duschbad. Die Region, in der ich mich dort aufgehalten habe, ist bekannt für Honig, weshalb alle dort vorhandenen und angebotenen Produkte aus Honig waren. Das war ein Fest für meine Haut und mein feines Näschen.

 

In Miyajima haben meine Freundinnen und ich viel zu viel für einen Aufenthalt im Onsen ausgegeben, aber wir wollten unbedingt gemeinsam diese Erfahrung machen. Der Preis hat sich nur darin ausgezeichnet, dass wir einen Haufen schweineteurer Pflegeprodukte zur Verfügung hatten. Da wir nun schon dort waren und das Geld bezahlt hatten, haben wir unsere Haut und Haare mit dem teuren Zeug verwöhnt.

In Hirosaki habe ich einen wirklich großartigen Onsen besucht, der sogar ein mit natürlichem Schwefel versetztes Außenbad hatte. Siehe Hirosaki in October – my first trip alone.

 

Alles in allem gibt es nur zu sagen, dass ich Onsen sowie Sento gleichermaßen liebe. Ich liebe die Atmosphäre, auch wenn ich natürlich immer auffalle. Eine Sache ist jedoch sehr viel angenehmer als in der Öffentlichkeit, denn der größte Unterschied besteht vermutlich darin, dass wir alle nackt und entblößt sind. Ein Blick ruht auf mir und sagt "Ausländer!", doch im nächsten Atemzug spüre ich, wie viele Damen sofort realisieren, dass ich nackt nicht groß anders aussehe als sie selbst. Das ist oft eine Genugtuung beiderseits und dadurch fühle ich mich, trotzdessen ich nackt bin, weniger unwohl als außerhalb der Bäder.

 

 

 

 

 

 

Visuelle Eindrücke aus Asamushi-Onsen. Das Bild mit dem Sonnenuntergang ist ja bereits allseits bekannt. Ich habe es aufgenommen, als ich mit Claire zusammen einen Ausflug in meinen Lieblingsonsen unternahm.

Das wars dann auch schon wieder.
Jya matane,
Eure Eva


(NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*)  Erklärung:
Bei einigen Namen habe ich mich im Nachhinein entschieden, sie aus Privatsphäregründen nicht mehr direkt zu nennen. Auch wenn es sehr cringey ist, meine alte Schreibweise und teilweise unreflektierte Art über die Dinge zu urteilen ohne neue Bearbeitung lediglich überfliegen zu müssen, habe ich mich entschieden, die Gesamtheit der Artikel nicht zu verändern, um die Essenz jener Zeit zu bewahren.


- Keine originalen Kommentare unter dem Originalbeitrag -



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