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Die Abenteuer von Mister S und Eva-sensei

Hallo Leute!

 

Das letzte Wochenende war wirklich ungewöhnlich und verlief ganz anders, als ich es geplant hatte. Am Samstag feierte meine amerikanische Freundin, [...] (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*), ihren 24. Geburtstag bei sich zuhause. Ich habe mich sehr auf diesen Tag gefreut, weil es das erste Mal war, dass ich mit anderen "Ausländern" in einer Gruppe Zeit verbringen kann. Wir haben gegrillt (was mehr oder weniger gut gegangen ist), geredet, getanzt, Trinkspiele gespielt und durchaus zuviel Alkohol konsumiert. Auf der Party gab es neben mir nur einen Europäer, was dazu führte, dass ich mich auch dieses Mal wie ein Ausländer fühlte. Ich spreche und verstehe englisch zwar relativ gut, aber in einer großen Gruppe von Amerikanern fiel es mir trotzdem schwer mitzuhalten.
Gegen 22 Uhr kam der andere Europäer, dessen Name Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) ist, auf mich zu - wir haben während des Abends schon ein bisschen miteinander gequatscht und abgehangen - und fragte mich, ob ich Lust hätte, mit ihm den letzten Zug nach Aomori City zu nehmen und feiern zu gehen. Ich war müde, hatte Kopfschmerzen und das Einzige, womit er mich letztendlich gewinnen konnte, war das Versprechen, dass wir um 6 Uhr morgens zusammen den ersten Zug Richtung Kominato zurücknehmen würden. Er kam aus einem noch weiter entfernten Ort mit dem Auto und da er getrunken hatte, war er gezwungen, sein Auto in Kominato stehen zu lassen und mit mir zusammen zurück zu fahren. Schließlich willigte ich ein und recht angetrunken machten wir uns gemeinsam im Regen auf den Weg zum Bahnhof, um den letzten Zug um 23:13 Uhr zu nehmen. Als wir in Aomori ankamen, gingen wir zunächst in einen Conbini und kauften uns etwas zu essen und eine alkoholische Wegzehrung. Das war der Moment, in dem er (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) zu mir sagte: "Das wird unser Abenteuer!" ... er sollte Recht behalten.

Wir fanden uns zunächst in einem wirklich kleinen Reggae-Club wieder, in dem an diesem Abend all-female DJs auflegten. Das war etwas Besonderes und natürlich gab es in diesem Club ein wirklich interessantes Klientel. Das für mich gewohnte und bekannte Japan gab es in diesem Club kaum. Ich machte die Bekanntschaft eines Japaners mit langen Dreadlocks und obwohl er aus der Reihe zu tanzen schien, war er verheiratet und hatte ein Kind, das zweite war unterwegs. Verheiratet zu sein und Kinder zu haben ist äußerst wichtig in Japan - sodass dieser Fakt mich eigentlich nicht hätte erschrecken sollen. Dennoch war ich überrascht, da er so ganz anders war, als die Menschen, die ich bisher kennengelernt habe. Er gab Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) und mir einen Tequilashot aus und nachdem wir etwa eine Stunde in diesem Club verbracht haben, wollte Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) weiterziehen. Ein Freund erzählte uns von zwei anderen Clubs - einer in der Nähe, in dem der Eintritt locker rund 35$ gekostet hätte, weshalb ich vehement ablehnte - und einer, der etwas weiter weg, aber günstiger war. Also machten wir uns auf den Weg.

Natürlich waren wir beide zu betrunken, um den Weg richtig in Erinnerung zu behalten und verirrten uns in Aomori City. In einem guten Abenteuer darf natürlich eine leere Handybatterie nicht fehlen. Wir waren nun also etwas aufgeschmissen und fragten hier und da Leute nach dem Weg, aber niemand schien den Club zu kennen, den wir suchten. Irgendwann stießen wir auf ein ebenso betrunkenes, japanisches Pärchen und nachdem wir lange hin und herdiskutiert (beziehungsweise es versucht) haben, gingen wir schließlich gemeinsam in Richtung des besagten Clubs. Weit kamen wir jedoch nicht, wir wurden vor dem Eingangsbereich eines anderen Clubs von einer großen Gruppe aufgehalten, die uns mit in ihre Mitte nahmen. Dem Pärchen schien das nicht geheuer und so verabschiedeten sie sich, während Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) und ich keine andere Wahl hatten, als einfach mit dem Strom zu schwimmen. Immerhin mussten wir irgendwie die Zeit bis 6 Uhr totschlagen, um den ersten Zug zu kriegen. In der Gruppe sprachen zwei Leute sehr gut englisch und es dauerte eine Weile, bis wir erfuhren, dass es sich bei der Gruppe um Vietnamesen handelte. Als ich genauer hinhörte, bemerkte ich den Unterschied, aber zunächst war ich sehr überrascht.

Wir jedenfalls rechneten damit, mit dieser Gruppe weiterzuziehen, zu trinken und Party zu machen. Durch sie erfuhren wir jedoch, dass so ziemlich alle Clubs in Aomori um 3-4 Uhr schließen. Außerdem waren sie müde und beschlossen letztendlich, noch Ramen essen zu gehen und damit den Abend ausklingen zu lassen. Da wir mit ihnen zusammen in einer Ecke von Aomori gelandet sind, in der wir uns gar nicht auskannten, schlossen wir uns ihnen an. Wir wussten, dass der Reggaeclub noch bis 4 Uhr geöffnet hatte, also spielten wir mit dem Gedanken, dorthin zurückzugehen und da die Gruppe in dieselbe Richtung unterwegs war, hatten wir noch nette Unterhaltungen, bevor wir uns letztendlich von ihnen verabschiedeten. Es war etwa 3:30 Uhr, als wir vor dem Conbini standen, der dem Reggaeclub am Nächsten war. Ich versuchte, Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) von irgendwelchen Fremden wegzuzerren, aber das Schicksal hatte andere Pläne für unser Abenteuer. Als die Fremden, mit denen wir aus irgendeinem Grund (wahrscheinlich Alkoholpegel) Kontaktdaten austauschten, sich verabschiedeten und in ein Taxi stiegen, kam auf einmal ein im Streetfighter-Black-Belt-Ryu-Cosplay gekleideter Amerikaner auf uns zu und brüllte: "HADOUKEN!" Zu dem Zeitpunkt dachte ich wirklich, dass ich zu viel getrunken hatte und ihn mir nur einbildete, weil alles so absurd erschien, aber Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) konnte ihn auch sehen. Wir quatschten eine Weile und er sagte, er möchte uns unbedingt in einen Club mitnehmen, der natürlich - wer hätte es anders erwartet - bereits geschlossen hatte. Eine Straße weiter befand sich jedoch eine winzige Bar, die noch offen hatte. Eine Ausnahmebar, in der man bis 5 Uhr sitzen und trinken konnte. 'Wir sind gerettet. Bis 5 Uhr hier, dann langsam zurück zum Bahnhof und um 5:43 Uhr den ersten Zug nach Kominato nehmen. Perfekt.', dachte ich. Dachte ich. Wer gehofft hat, dass hier Schluss ist - so wie ich zu diesem Zeitpunkt - der irrt sich. Hier ging das Abenteuer erst wirklich los.

 

Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) und ich bestellten uns jeder eine Rum-Cola. Er kam sofort mit einer Gruppe Japaner ins Gespräch, die links von ihm saßen. Ich versuchte, mich in die Gruppe zu integrieren, doch ich fand keinen Anschluss. Also nippte ich an meinem Drink und begann, mit einem kleinen Püppchen zu spielen, das auf irgendetwas draufsaß. Die Bar war voller Kleinigkeiten und offensichtlicher Ausländer-Freundlichkeit. Es lief amerikanische Musik und alle Leute, die sich dort befanden, waren von angenehmer Natur. Das war der Moment, in dem ich Saki und Yumi kennenlernte. Sie saßen rechts neben mir und zeigten großes Interesse an mir und meinem Japan-Aufenthalt. Wir unterhielten uns in gebrochenem Japanisch und Englisch, aber es machte sehr viel Spaß. Irgendwann spendierten die beiden mir eine weitere Rum-Cola und in dem Moment hatte ich wirklich den Eindruck, dass sie mich leiden können und nicht nur so tun. Man merkte schnell, dass diese beiden ganz anders sind als alle anderen Japanerinnen, denen ich bisher so begegnet bin. Kann man natürlich nicht so in einen Topf werfen, da auch alle Japaner nur Menschen sind. Ich spreche hier lediglich von der Kultur und den damit verbunden kulturellen Unterschieden, die manchmal einfach sehr groß sind. An diesem Abend fühlten sie sich winzig klein an.


Irgendwann stieß Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) in die Gruppe und wir machten Fotos**, redeten, lachten, tranken und hatten Spaß. Bis zu dem Zeitpunkt, als es beinahe 5:30 Uhr war. Ich freute mich darauf, bald zuhause in meinem Bettchen zu liegen und den Rausch auszuschlafen. Als Hochsensibler macht man eh schon so selten Party und auch wenn man eine gute Zeit hatte, freut man sich am Meisten auf den hoffentlich in greifbarer Nähe kommenden Moment der Ruhe und Erholung. Aber es wäre ja kein Abenteuer gewesen, wenn es hier schon vorbei gewesen wäre.

 

Saki, Yumi und Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) fingen an, eine gemeinsame Tour für den Sonntag zu planen. Das einzige Problem: Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) und ich mussten nach Kominato zurück, weil ich nun mal dort wohne. Nach einer Diskussion mit einigen Sprachproblemen beschlossen die anderen, dass wir alle bei Saki übernachten sollten. Bei einer Japanerin, zuhause, alle gemeinsam. Äußerst ungewöhnlich. Meine Pläne, die ich in meinem Kopf mit meinem Bett bereits gemacht hatte, fühlten sich in weiter Ferne an. Ich wollte nachhause, hatte keine Lust, das Abenteuer fortzusetzen. Für mich war es genug, aber andererseits war es auch eine einmalige Gelegenheit. Das war es auch, was Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) mir immer wieder sagte: "Lass uns diesen Abend nehmen, wie er kommt. Auch wenn du jetzt gerade nicht dafür bist, verspreche ich dir, du wirst es im Nachhinein nicht bereuen." Ich drehte mich zum Barkeeper und bestellte mir einen letzten Tequilashot. Er dachte, er täte mir einen Gefallen, in dem er mir den Tequilashot ("Ausländerbonus") randvoll machte. Ich kippte ihn mit tosendem Beifall der restlichen Bargäste herunter und willigte ein, bei Saki zu übernachten und eine gemeinsame Tour am nächsten Tag zu unternehmen. Das Ende vom Lied des letzten Tequilashots - Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) und Yumi mussten mich ins Taxi tragen und ich habe bis zu dem Moment, in dem wir endlich im Bett lagen, nur noch Unsinn geredet.


Nach ganzen drei Stunden Schlaf wurden wir von Saki geweckt. Ich war immernoch komplett alkoholisiert und fühlte mich furchtbar. Wir machten uns ein bisschen frisch und zogen dann - gemeinsam mit Saki's Eltern - los. Immer wieder flüsterte ich Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) zu: "Was zum Teufel machen wir hier?" Zuerst dachte ich, dass wir mit ihren Eltern nur zu Saki's Auto fahren würden, doch es stellte sich heraus, dass dieser Trip, den wir unternahmen, zu sechst stattfinden würde. Yumi, Saki, Saki's Eltern, Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) und ich. Gemeinsam auf dem Weg zum hier berühmten Hakkodasan.

Den Grund, warum Saki und Yumi uns unbedingt dorthin mitnehmen wollten, erkannten wir, als wir da waren. Dieser Berg ist bekannt dafür, dass sich zur Herbstzeit jegliche Blätter verfärben, aber alle in den unterschiedlichsten Farben. Das Ergebnis ist eine traumhaft schöne, malerische Landschaft mit Baumkronen, deren Blätter die Farben grün, rot, gelb und braun trugen.

Alles fühlte sich unwirklich an. Der Fakt, dass Saki's Eltern uns jegliches Essen bezahlten. Dass wir mit ihnen im Auto saßen - zwei japanischen Mädchen, die wir am Abend zuvor betrunken in einer Bar kennengelernt haben. Der Fakt, dass wir etwa einen 5-stündigen Roadtrip mit all diesen Leuten unternahmen. Dass wir traumhaft schöne Landschaften bewundern durften. Dass wir mit großer Gastfreundlichkeit behandelt wurden, uns gleichzeitig aber nicht distanziert fühlten. Es war das erste Mal, seit ich hier bin, dass ich es ernsthaft unterschreiben kann, dass zwei japanische Mädchen mir den Titel "Freundin" verleihen. 

(Anmerkung: Es gibt in Japan sogenannte 'gaijinhunter', die einen Ausländer zum Essen einladen, ihm irgendwelches Zeugs kaufen und ihn irgendwelchen Leuten vorführen, nur um allen zu erzählen, dass sie einen ausländischen "Freund" haben. Das ist zwar nicht unbedingt schön, aber ich weiß, dass es nicht böse gemeint ist. Es gibt halt einfach Menschen, die so sind. In diesem Fall war es zum ersten Mal so, dass ich mich nicht so gefühlt habe, als Yumi und Saki mich ihre Freundin nannten.)

Alles in allem war es wirklich und wahrhaftig ein Abenteuer, dass Mister S (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*) und ich erlebt haben. Natürlich stehen wir alle weiterhin miteinander in Kontakt und haben das nächste Abenteuer schon in Aussicht. Ob ich noch einmal von soetwas berichten werde, wage ich zu bezweifeln, aber es war meine erste Clubbing-Erfahrung in Japan und deshalb wollte ich euch gerne daran teilhaben lassen. Ich hoffe, euch hat es gefallen, also denjenigen, die es echt bis zum Ende durchgelesen haben. ;D

 

Anmerkung: Mister S übrigens, weil seine japanischen Schüler Schwierigkeiten haben, seinen Namen auszusprechen. Da er nicht möchte, dass sie sich immer die Zunge brechen, wenn sie versuchen, seinen Namen (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*)  zu sagen, trägt er bei allen einfach nur den ziemlich coolen Namen Mister S. Ich habe mich mittlerweile schon sehr daran gewöhnt, von meinen Schülern Eva-sensei genannt zu werden - vor allem, weil alle immer erfreut meinen Namen rufen, wenn sie mich sehen. :-) Zu meinen Arbeitsfeldern später mehr. Bis dahin!

 

 

Eva


 (NACHTRÄGLICH GEÄNDERT*)  Erklärung:
Bei einigen Namen habe ich mich im Nachhinein entschieden, sie aus Privatsphäregründen nicht mehr direkt zu nennen. Auch wenn es sehr cringey ist, meine alte Schreibweise und teilweise unreflektierte Art über die Dinge zu urteilen ohne neue Bearbeitung lediglich überfliegen zu müssen, habe ich mich entschieden, die Gesamtheit der Artikel nicht zu verändern, um die Essenz jener Zeit zu bewahren.


** Fotos Erklärung:

Der Originalbeitrag enthielt einige Fotos sowohl von dem Abend als auch vom Trip am Tag danach. Mister S und ich haben uns einige Zeit nach diesem gemeinsamen Abenteuer leider zerstritten und so fühle ich mich nicht mehr wohl dabei, seinen Namen sowie Fotos von ihm zu verwenden. Wenn du, lieber Leser, diesen Blogeintrag zum ersten Mal liest, findest du es vielleicht schade, dass Mister S' und meine Wege sich letztendlich trennten, doch meiner Meinung nach sind manche Beziehungen dazu bestimmt, nur eine Weile lang geführt zu werden. Persönlich war ich damals sehr traurig und habe mir Mühe gegeben, die Freundschaft zu retten, aber man kann jemand anderen nicht zwingen, wenn er/sie nicht möchte! Um also seine Privatsphäre zu respektieren, bitte ich um Verständnis darüber, dass ich jegliche Fotos aus dem Originalbeitrag nicht übernommen habe.
Die guten Nachrichten: Mit Yumi und Saki bin ich noch immer befreundet und in Kontakt!


- Keine originalen Kommentare unter dem Originalbeitrag -



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