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Ablehnung

Es ist so seltsam. Schon wieder fühle ich mich, als würde ich gar nicht existieren - als würde meine Existenz nur so vor mir her schwirren und mir dadurch immer wieder meine eigene Sterblichkeit vor Augen fühlen. Die Vorstellung, von diesem Planeten zu verschwinden, ohne etwas hinterlassen zu haben, fühlt sich unangenehm an, aber sollte es dazu kommen, so kann ich dagegen auch nichts unternehmen.

 

Außerdem ist mir in dem rationalen Teil meines Seins sowieso klar, dass es eigentlich keine Rolle spielt. Selbst, wenn ich etwas hinterlasse, wer weiß, wie lange es da sein wird und ob es nicht komplett in Vergessenheit geraten wird. Wissen tue ich es nicht, aber mir den Kopf darüber zu zerbrechen - ja, das empfindet mein Gehirn aus mir unerklärlichen Gründen als einen sinnvollen Zeitvertreib.

 

Stichwort sinnvoller Zeitvertreib lässt mich direkt wieder in eine Abwärtsspirale abdriften. Warum bin ich so unproduktiv? Wieso schaffe ich es nicht, mich zu motivieren, die Dinge in Angriff zu nehmen, die ich mir vornehme? Und warum habe ich so große Schwierigkeiten, einen Plan als solches zu akzeptieren und mich dementsprechend zu verhalten? 


Ich habe heute eine Absage für einen Nebenjob bekommen. Generell sah der Job eigentlich ganz gut aus, also habe ich mich beworben. In der Früh bekam ich einen Anruf, den ich zunächst nicht bemerkte, weshalb ich etwa zehn Minuten später zurückrief.

 

"Ja, hallo, also wir haben Sie wegen Ihrer Bewerbung angerufen. Ist es denn okay für Sie, vorrangig wochenends zu arbeiten?", wurde ich gefragt. Etwas verdutzt stockte ich einen Moment, doch noch bevor ich antworten konnte, sagte sie mir, dass sie noch einmal kurz etwas checken müsse und ob sie mich erneut anrufen könne. Ich antwortete mit Ja, sie legte auf.

 

Nicht mal eine Minute später rief sie mich erneut an und begann mit einer Reihe von investigativen Fragen.

 

"Sprechen und verstehen Sie denn richtig gut Japanisch?"

 

"Ja...?" (Auf welcher Sprache sprechen wir denn gerade...?)

 

"Okay, ähm, es wird außerdem spezifisches Wissen über [X] notwendig werden, um diesen Job zu machen, wird das ein Problem darstellen?" (Noch immer vorrangig auf die Sprachkenntnisse bezogen.)

 

"Wenn ich es einmal gelernt habe, werde ich auch da keine Probleme haben."

 

"Okay. Wann sind Sie nach Japan gekommen?"

 

Einen Moment lang stutze ich. Nur anhand meines Vornamens hat diese Frau nun beschlossen, dass ich definitiv keine japanische Staatsbürgerin sein könne. Für all die in Japan geborenen Kinder, die einen ausländischen Namen haben, tut mir dies besonders Leid. Ich antwortete, dass ich in Utsunomiya seit 2019 bin und vorher ein Jahr in Aomori gelebt habe.

 

"Für welche Position haben Sie sich beworben? Vollzeit, Teilzeit?"

 

"Als Nebenjobberin, ja... also Teilzeit."

 

"Hmm, verstehe, wären Sie bereit, uns einen Lebenslauf zukommen zu lassen?"

 

Erneut geriet ich ins Stutzen. Auf der Website, auf welcher ich die Bewerbung vorgenommen hatte, stand ganz klar und deutlich geschrieben, dass eine Einreichung des Lebenslaufs nicht notwendig für die Bewerbung sei. Dieses Mal spüre ich einen Stich in der Magengegend, ich fühle meinen stärksten emotionalen Trigger in mir hochkommen - Ablehnung. Und diese war ganz eindeutig nur weil ich Ausländerin war. Ich kann nicht leugnen, wie dreist ich es empfand, einen Lebenslauf nur von mir zu verlangen, wenn andere Bewerberinnen dies nicht tun mussten. "Ich habe jetzt keinen Lebenslauf sofort zur Hand,", antwortete ich ihr, "aber ich kann einen anfertigen, wenn Sie mir ein paar Tage Zeit geben."

 

"Okay. Können Sie denn an den geforderten Arbeitszeiten arbeiten? Also morgens, mittags und abends - alles kein Problem für Sie?"


"Das ist kein Problem.", antwortete ich, noch immer leicht unangenehm berührt von der Frage nach dem Lebenslauf.

 

"Und am Wochenende, wie siehts da für Sie aus?"

 

"Wenn es nicht jedes Wochenende ist, arbeite ich natürlich auch am Wochenende. Sollte es jedes Wochenende sein, wird es ein bisschen eng auf meiner Seite."

 

"Okay, dann sind wir kein Match. Entschuldigung. Auf Wiedersehen." Aufgelegt, noch bevor ich etwas antworten konnte.

 

Ich frage mich;

  1. Wenn das die allentscheidende Frage war, warum diese nicht gleich zu Beginn stellen und stattdessen erst mit unangenehmen Fragen und Attitüde um sich werfen? Das ganze Gespräch hätte innerhalb von 10 Sekunden vorbei sein können.
  2. Wenn sie nur Arbeitskräfte vor allem fürs Wochenende suchen, warum steht das nicht in der Jobbeschreibung? Dort stand ganz klar: Für Hausfrauen (und Mütter) geeignet, Schichtsystem ab 2x die Woche, ab 4h pro Tag - nirgends explizit, dass nur für Wochenendschichten gesucht wird.
  3. Mal angenommen ich hätte Kinder (wonach ich nicht gefragt wurde!), dann ist es doch eigentlich relativ offensichtlich, warum ich nicht jedes Wochenende arbeiten könnte...
  4. Ist es nicht der Sinn hinter Schichtarbeit, dass eben nicht nur ein Mitarbeiter in den sauren Apfel beißen muss? Ist nicht der Sinn an so einem System, dass jeder Mal im Wechsel am Wochenende arbeitet und dafür dann aber auch unter der Woche, so gut es geht eben gerecht verteilt? 

Ich komme nicht umhin, die Diskriminierung aufgrund meiner Andersheit zu spüren. Ich kann natürlich nicht mit Sicherheit sagen, ob eine japanische Staatsbürgerin nicht auf dieselbe Art und Weise abgespeist werden würde, aber meine Gesprächspartnerin am Telefon wirkte von Anfang an generell sehr unbeeindruckt von mir. Das machte die ganze Situation natürlich nur noch unangenehmer für mich, zumal ich mir einfach gewünscht hätte, dass sie mich zu einem direkten Gespräch eingeladen hätte, in welchem all diese Dinge geklärt hätten werden können (von mir aus auch mit Absage). Für mich fühlte es sich allerdings ehrlich gesagt so an, als hätte sie den Kommentar mit dem Wochenende nur genutzt, um sich fein aus der Sache herauszuholen. Ich meine, was macht es denn für einen Sinn, auf einer Arbeitsstelle mit Schichtsystem zu verlangen, dass nur eine von allen Kolleginnen immer alle Wochenendschichten macht? Ist doch nicht normal sowas.

 

Natürlich denke ich im Nachhinein, dass dies schon seine Gründe haben wird. Die Frustration war natürlich trotzdem sehr groß, vor allem am Anfang. Es machte es nur noch schlimmer, dass dies direkt am Anfang des Tages passierte - nachdem ich eigentlich nach längerer Zeit endlich mal wieder gut geschlafen hatte. Liegt es an meiner Hochsensibilität, dass mir so etwas dann den ganzen Tag versaut? Vielleicht interpretiere ich Dinge hinein, die nicht da sind - vielleicht aber auch nicht. Ich denke, es wird noch einige Absagen mehr brauchen, um ein wirklich ein ausländerfeindliches Muster zu erkennen. Momentan kann ich natürlich nur spekulieren.

 

Mein innerer Kritiker hat mich natürlich direkt darauf hingewiesen, dass es ja auch ein bisschen meine Schuld sei, zu sagen: "solange es nicht jedes Wochenende ist". Aber andererseits frage ich mich, woher mein innerer Kritiker diese Mobbing-Tendenzen holt. Ich erinnerte mich daran, dass das oft etwas ist, womit Familie und Freunde - wenn auch eigentlich nur im besten Interesse - direkt versuchen, die Ursache für die Absage zu finden. "Hättest du dies mal nicht gesagt" oder "Ohh ja klar, wenn du das sagst, dann bist du direkt raus". Warum haben wir diesbezüglich eigentlich so eine alltägliche Manier des Victimblamings? Ich sehe mich hier natürlich nicht als wortwörtliches Opfer in dieser Situation, aber es ist schon faszinierend, wie oft wir direkt die Person an sich verantwortlich machen für das, was ihr zugestoßen ist. Es liegt natürlich auch in der Art und Weise des Entscheidungsprozesses der jeweiligen Firma, doch zunächst einmal wird der Fehler beim Individuum gesucht. Na, kannst du dich erinnern, ob du so etwas nicht auch schon einmal gemacht hast - bewusst oder unbewusst?

 

Ich persönlich hätte es als falsch empfunden, zu behaupten ich könne jedes Wochenende arbeiten. Ja, ich habe keine Kinder, aber das heißt nicht, dass ich nicht auch mal ein Wochenende frei haben möchte - was auch auf einen Nebenjob bezogen meiner Meinung nach eigentlich nicht "zu viel verlangt" sein sollte. Wäre ich dann außerdem auf dieser Grundlage eingestellt worden, wäre es sehr schwer gewesen, Schichten am Wochenende abzulehnen, bzw. würden sie mich vermutlich vorrangig ohne große Diskussion in ebendiese Schichten einteilen. Jemanden aber direkt abzulehnen, nur weil diese Person sagt "Hey ja, solange es ein faires Schichtsystem ist, welches ich nach der Jobbeschreibung im Internet auch irgendwie erwarte - klar arbeite ich auch mal am Wochenende, solange es nicht JEDES ist"... Ich frage mich ernsthaft, wie lange es dauern wird, jemanden zu finden, der perfekt auf diese Beschreibung passt und bereit ist, jedes Wochenende zu arbeiten. 

 

Natürlich spreche ich von einem sehr privilegierten Standpunkt, da ich nicht notwendigerweise diesen Job machen MUSS. Wäre ich in einer Lebenssituation, wo es unabdingbar wäre, diesen Job zu bekommen, dann wäre ich natürlich auch bereit gewesen, jedes WE zu arbeiten. Dennoch finde ich es seltsam, dass sie diesen Nebenjob im Internet als etwas plakatiert haben, was vor allem für Hausfrauen gedacht ist. Egal, wie ich es drehe und wende, ich komme nicht umhin, mich immer wieder so zu fühlen, als wäre meine Herkunft der entscheidende Faktor für diese Frau gewesen.

 

Wie auch immer, sich im Kreis zu drehen bringt natürlich auch niemandem was, am Wenigsten mir und meiner sowieso schon angeschlagenen Psyche. Es wird schon richtig sein und seine Gründe haben, dass das nicht geklappt hat. Ich hoffe, dass ich vielleicht etwas anderes finden werde. Ich würde einfach nur gerne ein paar Mal die Woche für ein paar Stunden am Tag ein bisschen wo aushelfen, damit ich mal aus dem Haus komme. Besonders jetzt, da ich für den Rest des Jahres mit dem Taiko-Training aufhören musste, habe ich einfach kaum noch Gründe, vor die Tür zu gehen. Es wäre schön, eine Konstante zu haben, die bevorzugt unter der Woche meine Dienste in Anspruch nehmen möchte.

 

Mal schauen, wie diese Dinge weitergehen werden. Ich hoffe sehr, dass man mich nicht überall direkt ablehnt, nur weil ich einen ausländischen Vornamen habe und manchmal ein paar Sätze falsch formuliere.

 

Ich meine - ja, Rassismus ist definitiv ein Problem in Deutschland, aber wenn ich mir vorstelle, was diese Erlebnisse von mir für einen Aufruhr in Deutschland verursachen würden... Ich bin mir sicher, dass es auch da voreingenommene Arbeitgeber gibt, die sich gegen bestimmte potentielle ArbeiterInnen entscheiden, nur weil diese aus dem Ausland kommen. Das heißt aber nicht, dass es okay ist! Das heißt nicht, dass wir diese Dinge einfach so hinnehmen sollten und akzeptieren sollten. Es ist nicht in Ordnung, jemanden direkt abzulehnen, nur weil diese Person eine andere Muttersprache hat. "DU BIST IN JAPAN, WAS HAST DU ANDERES ERWARTET?" ist einfach eine Frage, die ich nicht mehr hören will. Und auch keine Entschuldigungen mehr - sowohl nicht von AusländerInnen als auch von JapanerInnen nicht. Vor allem bei einem kleinen Nebenjob sollte es keine Rolle spielen.

 

Uff, jetzt habe ich mich ein bisschen in Rage geschrieben. Aber auch das ist okay. Es ist in Ordnung, dass ich mich frustriert fühle, denn es ist eine frustrierende Situation. Hoffen wir, dass es beim nächsten Mal besser wird - oder eben einfacher, die Ablehnung zu akzeptieren.

 

In diesem Sinne,

Jyaa matane.

 

Ungerechtigkeit und Diskriminierung muss nicht akzeptiert werden.


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